Im Waldgarten werden auf kleiner Fläche mit unterschiedlicher Gehölzüberschirmung Pflanzen, Pilze und Tiere genutzt, gepflegt und gestaltet, um für den Menschen wichtige Güter und Leistungen bereitzustellen. Das Modellökosystem dafür ist die teiloffene temperierte Baumlandschaft mit Einfluss von Großherbivoren.

Was ist eigentlich ein „Waldgarten“?
Diese Frage wird immer wieder gestellt und der Begriff wird oft in verschiedenen Kontexten unterschiedlich und sehr individuell verwendet. Hier möchte ich einmal darüber nachdenken, was für mich (im temperierten Klima) ein „Waldgarten“ ist:

Viel Verwirrung entsteht schon, da im englischen Sprachraum oft „forest gardening“ mit „Permakultur“ gleichbedeutend verwendet wird. Das ist dann durch Übersetzungen auch ins Deutsche übertragen worden, wobei es auch explizite Unterscheidungen gibt (z.B. Permakulturkurse, die einen gesonderten „Waldgarten“-Teil beinhalten). Da ich aber aus den Forstwissenschaften komme und aus ökologischen Grundüberlegungen und der Einbeziehung ihrer klassischen Disziplinen meine Gestaltungsansätze herleite, nähere ich mich dem Thema jedoch von einer anderen Seite:

Wenn ich mich einer Definition annähern würde, würde ich erstmal die Teile des Wortes betrachten: Wald und Garten.
Wald ist eine zu mindestens 10% von Gehölzen überschirmte Fläche von mindestens 0,5 Hektar, laut UN. Das ist bewusst so gewählt, um auch in ariden Gebieten Wälder zu finden und diese dementsprechend bewirtschaften undvor allem schützen zu können. Sicher ist auch ein wenig Greenwashing dabei, damit auch noch völlig übernutzte Gehölzbestände als Wald gelten. Das Bundeswaldgesetz hingegen meint, dass Wald einfach eine mit „Forstpflanzen“ bestockte Fläche ist, plus einige Bestimmungen, was eben kein Wald sei.
Das Problem bei der ganzen Geschichte ist, dass diese Definitionen alle auf der forstwirtschaftlichen Sichtweise Mitteleuropas beruhen, die über die unterschiedlichen Instanzen der EU und der UN auch in die global gültigen Definitionen Eingang gefunden hat. Es geht dabei eben immer um eine hauptsächliche Betrachtung der Gehölzkomponente; das innere Bild, das wir von Wäldern mit uns herumtragen, ist eines von hohen Bäumen und geschlossenem Kronendach. Herausgebildet hat sich dieses Verständnis von Wald aber hauptsächlich im 19. Jahrhundert. Dabei ist spannend, dass einer der Begründer der Forstwissenschaften in Deutschland (und überhaupt), Heinrich Cotta, in einem seiner späteren Werke eine völlig andere Sichtweise vertreten hat: In der ‚Baumfeldwirthschaft‘ schreibt er im Jahr 1819(!), dass wir in der Landschaft Systeme schaffen sollten, die Holzproduktion, Viehaltung und den Anbau von Feldfrüchten kombinieren. Dadurch würden sich die Fruchtbarkeit und die Stabilität maßgeblich erhöhen und die Menschen seien langfristig mit Nahrung und anderen wichtigen Produkten besser versorgt. Erstaunlich auch, dass dies für das temperierte Klima Mitteleuropas dem ökologischen Modell der teilweise offenen Baumlandschaften entspricht, das in der Großherbivorentheorie ab den 2000er Jahren von Vera und anderen Forschern skizziert wurde und seit dem Eingang in die Ökologie und andere Forschungsdisziplinen gefunden hat.
Damit könnten wir, so Cotta 1819, ‚das Paradies auf Erden‘ schaffen, nur täten wir das nicht, weil gesellschaftliche Eliten (Industrielle und Adlige) an der Trennung verdienten. Somit kam auch der schärfste Gegenwind von Seiten der (späteren) Anhänger der Bodenreinertragslehre, die Waldbau als Kapitalanlage propagierte und darauf drängte, nur solche Maßnahmen im wald durchzuführen, die mit einer Anlage am Kapitalmarkt konkurrenzfähig wären. Leider hat sich diese damals durchgesetzt und so für lange Zeit unsere Idee von Wald, unsere Landschaft und unsere Haltungen geprägt.
Sehr spannend sind da übrigens die vielen Briefwechsel und Artikel, in denen z.B. Cotta und Pfeil für eine Landnutzung als ‚Ersten Erhalt des Lebens‘ eintreten (Motto: Ein jeder Förster sollte sich was schämen, der nicht für die Abdeckung aller menschlichen Bedürfnisse pflanzt und säht und die Bevölkerung teilhaben lässt) und auf der anderen Seite Forstleute wie Hundeshagen oder Preßler, die für eine rein mathematisch-ökonomische Betrachtung von Wald eintraten.

Wir sehen also, dass Wald einerseits hauptsächlich als Gehölzsystem betrachtet wird, andererseits aber auch schon lange eine eher ökosystemare Sichtweise existiert, die Boden, Wasserhaushalt, Tiere, Pilze  und Pflanzen mit einbezieht und bei der auch der Einfluss des Menschen in Form von nutzungen und Gestaltung eine Rolle spielt, so dass der „Wald“ fließend in andere Landnutzungsformen und Ökosysteme übergeht.

Hierbei kommen wir schon dem zweiten Teil des Wortes „Waldgarten“ näher, nämlich dem Garten. Dieser meint eine abgegrenzte, intensiv genutzte und gestaltete Landfläche, die Menschen für die Produktion verschiedener Güter und Leistungen (z.B. auch ‚Erholung‘) gebrauchen. Folgt man der Sichtweise einiger Forstlicher Klassiker, so könnte man das schon fast auf den Wald anwenden, wenn hierfür Gehölze verwendet werden. So ist der Wald im Cotta’schen Sinne einfach eine intensiv gestaltete Landnutzung, die von der ‚Landwirtschaft‘ lediglich durch die Nutzung von Bäumen anstelle von einjährigen Pflanzen als hauptsächlichem Produktionsmittel zu unterscheiden ist, und die Übergänge können fließend sein. Nur die Abgrenzung durch mehr oder weniger bauliche Maßnahmen, die den Garten ausmacht, fehlt bei Land- und Waldwirtschaft und auch bei Agroforstsystemen, also den Cotta’schen Baumfeldwirtschaften. Daher ist die Kleinflächigkeit und Intensität der Nutzung und gestaltung ein wichtiges Merkmal des (Wald-)Gartens.

Wenn wir den Wald als Ökosystem betrachten, reicht es nicht aus, nur die Gehölzkomponente zu sehen. Zu seinem dauerhaften Bestehen braucht es auch andere Pflanzen, Pilze und Tiere, die viele wichtige Rollen erfüllen. Allein in natürlichen Ökosystemen führt der Einfluss von Tieren und anderen Störungen dazu,  dass die Übergänge zwischen Gehölzkomplexen und offeneren Landschaftsteilen fließend sind. Auch der Mensch kann in seiner Nutzung und Gestaltung ganz andere Strukturen schaffen, als es unser inneres Bild von „Wald“ oft vorgibt.
Dies alles zusammen genommen,  ist der Waldgarten eine abgegrenzte, umfriedete Fläche, auf der Tiere, Pilze und Pflanzen mit einer merklichen Überschirmung durch Gehölze intensiv gepflegt, genutzt und gestaltet werden, um für den Menschen wichtige Güter und Leistungen, z.B. Nahrung, Witterungsschutz, Holz, Erholung etc., zu erbringen.
Vielleicht ist aber tatsächlich der Begriff „Waldgarten“ irreführend, da er auf unseren Denkrahmen vom geschlossenen Wald, also dem forstlichen ‚Hochwald‘, zurückgreift. Treffender wäre wohl etwas, das die vielen wichtigen Aspekte solcher Systeme kurz und bündig zusammenfasst. Dafür ein Wort zu finden, ist mir jedoch bisher nicht gelungen. „Langfristig stabile, temperierte Baumlandschaft mit geschlossenen Stoffkreisläufen und Potentialaufbau zur Bereitstellung wichtiger Güter und Leistungen für den Menschen unter Nutzung und Gestaltung diverser Ökosystemkomponenten im Gartenmaßstab“ ist es jedenfalls nicht 🙂